8 maj 2013

Nelly Sachs und die Gedichte zur Flucht des jüdischen Volkes

Nelly (Leonie) Sachs wurde am 10. Dezember 1981 als Tochter des Fabrikanten William Sachs und dessen Frau Margarete Karger in Berlin-Schöneberg geboren und starb am 12. Mai 1970 in Stockholm. Nelly Sachs besaß ab 1952 die schwedische Staatsbürgerschaft und war nie verheiratet. Ihre Verbindung zu einem geschiedenen Mann wurde vom Vater unterbunden. Auch wenn die Schriftstellerin diese Verbindung dennoch aufrecht hielt, so starb ihre einzige Liebe vermutlich in einem Konzentrationslager.

Die Schriftstellerin wuchs in einem gutbürgerlichen Heim ursprünglich jüdischer Herkunft auf. Da Nelly Sachs als Kind zu Krankheiten neigte, wurde sie anfangs zu Hause unterrichtet, kam jedoch 1903 in eine höhere Mädchenschule wo sie die Mittlere Reife ablegte. Mit 15 entdeckte Sachs Selma Lagerlöfs Roman Gösta Berling, der sie so stark beeindruckte, dass sie mit der Schriftstellerin Kontakt aufnahm und einen Briefwechsel begann, der 35 Jahre lang andauern sollte.

Nelly Sachs, Collected Poems II, Green Integer, 2013

Diese Verbindung zu Selma Lagerlöf führte vermutlich auch dazu, dass die an Literatur interessierte Nelly Sachs mit 17 ihre ersten Gedichte schrieb, auch wenn es bis 1921 dauern sollte bis auch ihr erster Gedichtband unter dem Titel „Legenden und Erzählungen“ erschien. Es handelte sich dabei um melancholische Gedichte der Neuromantik, die die Schriftstellerin in ihren Gesammelten Werken nicht mit aufnahm. Ab Ende der 20er Jahre erschienen ihre Gedichte auch in mehreren Zeitungen und Zeitschriften, wobei sie in dieser Epoche jedoch immer mehr zu experimentellen Gedichten überging, die teilweise schwer zu deuten waren. Ein großer Teil der Berliner Gedichte von Nelly Sachs ging jedoch verloren, da sie 1940, gemeinsam mit ihrer Mutter, im letzten Moment noch aus Berlin fliehen konnte und ihre Werke den Bücherverbrennungen in Deutschland zum Opfer fielen.

Als Nelly Sachs im Mai 1940 mit einem der letzten Flugzeuge nach Schweden floh, konnte ihr Selma Lagerlöf, auf die sie ursprünglich gerechnet hatte, leider nicht mehr helfen, da diese nur wenige Wochen vorher gestorben war, aber sie fand bei Prinz Eugen, dem Bruder des schwedischen Königs Hilfe, was ihr nach monatelangen Problemen mit der Bürokratie erlaubte in Schweden zu bleiben, wo sie dann von mehreren Autoren des Landes unterstützt wurde.

Während der ersten Jahre in Schweden schrieb Nelly Sachs nur sehr wenige Gedichte und nach dem Ende des ersten Weltkriegs begann sie anfangs vor allem schwedische Autoren ins Deutsche zu übersetzen. Erst ab 1946 begann die Poetin auch wieder an eigene Werke zu denken und begann jene Gedichte zu schreiben, mit denen sie weltweit bekannt wurde und für die sie im Jahre 1966 mit dem Nobelpreis der Literatur belohnt wurde.

Auch wenn Nelly Sachs sehr gut Schwedisch sprach und ihr Leben lang in Schweden bleiben sollte, so versuchte sie nie in Schwedisch zu schreiben, sondern benutzte immer die deutsche Sprache und suchte in Deutschland ihre Verleger. Johannes R. Becher half der Schriftstellerin dabei im Jahre 1947 ihren ersten Nachkriegs-Gedichtband „In den Wohnungen des Todes“ zu veröffentlichen, der eine erste lyrische Auseinandersetzung mit dem Dritten Reich darstellt.

Auch wenn sich Nelly Sachs auf Grund des aufkommenden Nationalsozialismus bereits in Deutschland mit der jüdischen Kultur und damit dem Chadisismus und der Kabbale auseinandergesetzt hatte, begann sie erst in Schweden ihre Lyrik zur einer Klagelyrik des jüdischen Volkes zu machen und sie verzichtete vollständig darauf nicht-politische Gedichte zu schreiben. Die Schriftstellerin beschränkt sich dabei jedoch nicht nur auf die Gräueltaten und die Verfolgungen während des Zweiten Weltkriegs, sondern betrachtet die ewige Flucht des jüdischen Volkes. Die Bedeutung dieser politischen Lyrik findet man auch in den Worten des Nobelpreiskomitees, denn sie erhielt den Preis für „ihre hervorragenden lyrischen und dramatischen Werke, die das Schicksal Israels mit ergreifender Stärke interpretieren.“

Da Nelly Sachs grundsätzlich in Deutsch schrieb, jedoch ihre Hauptwerke in Schweden verfasste, wo sie auch ihre schwersten Krisen erlebte, nimmt sie eine Zwischenstellung zwischen deutscher und schwedischer Literatur ein und wird in der Literaturgeschichte beider Länder verzeichnet.

Die Gedichte und die Dramaturgie, die Nelly Sachs in Gedanken an das jüdische Volk schrieb, sind weder Deutsch noch Schwedisch, sondern eine Frage auf Weltniveau. Die große Leistung der Schriftstellerin für die schwedische Literatur muss man vor allem in ihren Übersetzungen suchen, denn zwischen 1945 und 1965 übersetzte sie einige bedeutendsten schwedischen Dichter, denen sie in gewisser Weise auch ihre Stimme gab. Unter den Autoren, die Sachs den deutschen Lesern näher brachte, findet man Namen wie Johannes Edfelt, Gunnar Ekelöf, Karl Vennberg oder auch Erik Lindegren, die alle Teil der schwedischen Moderne sind.

In der königlichen Bibliothek Stockholms findet man das Gedenkzimmer Nelly Sachs, eine Kopie ihrer Wohnung auf Södermalm in dem man ihren gesamten Besitz findet. Auf Kungsholmen wurde auch ein Park nach Nelly Sachs benannt.

Copyright: Herbert Kårlin

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